In der Geschichte der öffentlichen Gesundheit gibt es manchmal Berufe, die uns heute völlig absurd erscheinen. Einer der faszinierendsten davon ist der „Dégustateur d’eau“ – der professionelle Wasserkoster im Paris des 18. Jahrhunderts. Diese mutigen Menschen waren gewissermaßen die lebenden Wasserqualitätssensoren ihrer Zeit.
Stellen Sie sich das Paris der 1700er Jahre vor: Eine pulsierende Metropole, die rasant wächst und deren Bewohner täglich frisches Wasser benötigen. Die Seine war die Lebensader der Stadt, doch sie war auch eine potenzielle Quelle für Krankheiten und Epidemien. In dieser Zeit, lange vor der Erfindung chemischer Analysemethoden, brauchte man eine Lösung, um die Wasserqualität zu überwachen.
Die Antwort der Stadtväter war ebenso genial wie riskant: Sie schufen den Beruf des professionellen Wasserkosters. Diese Spezialisten, erkennbar an ihren charakteristischen blauen Uniformen, waren keine gewöhnlichen Beamten. Sie durchliefen eine anspruchsvolle dreijährige Ausbildung, in der sie lernten, kleinste Geschmacksabweichungen zu erkennen. Sie mussten unterscheiden können zwischen dem natürlichen Geschmack des Flusswassers und bedrohlichen Veränderungen, die auf Verschmutzung oder Algenwachstum hindeuteten.
Die Ausrüstung der Wasserkoster war dabei so elegant wie zweckmäßig: Sie trugen spezielle Silberlöffel bei sich, die bei Kontakt mit bestimmten Giftstoffen anliefen und so eine zusätzliche Sicherheit boten. Ihre Arbeitstage begannen im Morgengrauen, wenn sie die ersten Proben an verschiedenen Stellen der Seine nahmen. Besonders wichtig waren die Stellen, an denen Wasserschöpfer das Trinkwasser für die Stadtbevölkerung entnahmen.
Die Bezahlung war für damalige Verhältnisse außerordentlich gut – und das aus gutem Grund. Die Wasserkoster riskierten täglich ihre Gesundheit. Ihre durchschnittliche Lebenserwartung lag deutlich unter dem Durchschnitt, da sie regelmäßig mit verunreinigtem Wasser in Kontakt kamen. Viele starben an Cholera, Typhus oder anderen wasserbedingten Krankheiten. Dennoch war der Beruf begehrt, denn er bot neben dem guten Gehalt auch hohes gesellschaftliches Ansehen.
Die Wasserkoster entwickelten im Laufe der Zeit ein erstaunlich differenziertes Geschmackssystem. Sie konnten nicht nur verschiedene Arten von Verschmutzungen erkennen, sondern auch vorhersagen, wann sich gefährliche Algenblüten entwickeln würden. Ihre Berichte gingen direkt an die Stadtbehörden und konnten zur Sperrung von Wasserentnahmestellen führen.
Besonders interessant ist die soziale Rolle der Wasserkoster. Sie waren nicht nur Beamte, sondern auch wichtige Informationsquellen für die Bevölkerung. An heißen Sommertagen, wenn das Wasser besonders anfällig für Verunreinigungen war, wurden sie oft von besorgten Bürgern angesprochen und um Rat gefragt. Sie wussten genau, welche Stellen des Flusses sicher waren und welche gemieden werden sollten.
Die Ausbildung zum Wasserkoster war übrigens keine reine Geschmacksschulung. Die Kandidaten lernten auch die Grundlagen der damaligen Medizin, die Eigenschaften verschiedener Wasserpflanzen und die Zusammenhänge zwischen Wasserqualität und Krankheiten. Sie führten detaillierte Tagebücher über ihre Beobachtungen, die heute wertvolle Quellen für Historiker sind.
Mit der Einführung chemischer Analysemethoden im 19. Jahrhundert begann der langsame Niedergang dieses außergewöhnlichen Berufs. Die ersten Laboruntersuchungen waren zwar noch ungenau, boten aber den entscheidenden Vorteil, dass niemand mehr sein Leben riskieren musste, um die Wasserqualität zu prüfen.
Heute, wo wir selbstverständlich sauberes Trinkwasser aus dem Hahn bekommen, erscheint uns der Beruf des Wasserkosters fast unglaublich. Doch er erinnert uns daran, welche Opfer frühere Generationen bringen mussten, um die öffentliche Gesundheit zu schützen. Die Wasserkoster von Paris waren Pioniere der Wasserqualitätskontrolle, die mit ihrem Geschmackssinn und ihrer Erfahrung die Grundlage für unsere modernen Wasseranalysemethoden legten.
Übrigens: In einigen Wasseraufbereitungsanlagen wird auch heute noch geschmacklich getestet – allerdings unter streng kontrollierten Bedingungen und als Ergänzung zu chemischen Analysen. Die Tradition der Wasserkoster lebt also in gewisser Weise fort, wenn auch deutlich ungefährlicher als im Paris des 18. Jahrhunderts.